In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre Mauerfall. Wir nutzen die Gelegenheit und lassen Zeitzeugen zu Wort kommen, die sich an die Zeit vor dem Mauerfall und an die Zeit unmittelbar danach erinnern. Für unsere erste Folge bitten wir Jürgen und Regina Bigalke um einen nostalgischen Rückblick. Jürgen Bigalke war ab dem 31. Mai 1990 der erste Bürgermeister Falkensees nach der Wende.
Jürgen Bigalke: „Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir zu DDR-Zeiten gern ein Auto haben wollten. Ein Motorrad, das konnte man frei bekommen, aber ein Auto, da musste man sich anmelden, um dann 10 bis 15 Jahre lang auf eine Zuteilung zu warten. Da bekam man dann ein Kärtchen, das habe ich heute noch. Alle in der Familie, die über 18 Jahre alt waren, haben sich für ein Auto angemeldet, sogar die Oma. Ich hatte einen Lada angemeldet, meine Frau einen Skoda, die Oma einen Wartburg. Im Februar 89 kam dann die Nachricht, dass wir den Wartburg abholen können – in Brandenburg an der Havel. In der Halle war alles voller grauer Wartburgs; die Farbe durfte man sich ja auch nicht aussuchen. Zu unserer Überraschung bekamen wir einen Wartburg mit einem VW-Motor. Das hört sich toll an. Aber der Wagen kostete nun statt der angesparten 20.000 Ost-Mark satte 32.000 Mark. Da mussten alle in der Familie zusammenlegen, damit wir das bezahlen konnten. Es musste ja bar bezahlt werden, einen Kredit gab es nicht. Die Oma sagte, das Geld ginge nun vom Erbe ab.“
Regina Bigalke: „Ein Problem war, dass der VW-Motor ein spezielles höherwertiges Benzin brauchte. Wir bekamen Benzin-Bezugsscheine und mussten dann immer zum Tanken nach Nauen fahren. 1,60 Ost-Mark kostete der Liter. Unser neues Auto hat ganz schön Geld geschluckt. Und dann kam ja bald der Mauerfall, sodass wir den Wagen nur bis Juni 90 gefahren sind. Wir haben ihn dann für 5.000 West-Mark an einen Mann aus Hennigsdorf verkauft. Der hatte mit dem baugleichen Modell einen Totalschaden und wollte unbedingt das gleiche Modell wiederhaben.“
Jürgen Bigalke: „Nach dem Mauerfall war die Eigentumsfrage in Falkensee die dringlichste Frage. Wir hatten zu 75 Prozent Ein- und Zweifamilienhäuser in Falkensee. Die Häuser wurden aber zu einem guten Teil nicht durch die Grundstückseigentümer bewohnt, sondern von Pächtern und Mietern. Wir haben uns alle gefragt, wie wohl im Einigungsvertrag mit dieser Frage umgegangen wird. Das Volkseigentum der DDR wurde verkauft. Wer darauf wohnte, durfte es mit der Blauen Urkunde zum geschätzten Wert kaufen. Alle Notare in der Region hatten damals alle Hände voll damit zu tun, die Käufe zu übertragen. Bei den Grundstücken, bei denen sich die westdeutschen Alteigentümer meldeten, mussten die Bewohner weichen.“
Regina Bigalke: „Wir besaßen selbst jahrelang ein eigenes Grundstück in Falkensee, durften aber zu DDR-Zeiten nicht bauen. Wir bekamen die sogenannte ‚Baubilanz‘ nicht, weil wir keine Arbeiter oder Bauern waren und weil wir damals keine Kinder hatten. Wir haben dann 1.700 Quadratmeter für 1.700 Mark verkauft.“
Jürgen Bigalke: „Wir haben anschließend ein Haus gekauft, das war eigentlich für den Abriss vorgesehen. Alle erforderlichen Arbeiten an diesem Haus haben wir selbst organisiert und durchgeführt. Meine Frau hat Steine geklopft, die wir mit einem Arbeitskollegen aus einem genehmigten Abrissobjekt gewonnen und uns geteilt haben. Auch über den Siedlungsverein konnten wir Baustoffe organisieren. Was man nicht sofort brauchte, lagerte man im Garten, denn vielleicht konnte man es ja irgendwann tauschen. Das ist auch der Grund dafür, dass man nach der Wende genau sehen konnte, auf welchem Grundstück ein Ost-Bürger wohnte – da lagen immer Steine, Dachschindeln oder andere Bauutensilien im Garten.“ (Foto: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 158 (5/2019).
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