Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden im Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Die Vereinten Nationen haben diesen Tag deswegen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts“ erklärt. In Falkensee wurde dieser besondere Tag in diesem Jahr in der Feuerbachstraße begangen – vor dem Haus, in dem die in Auschwitz ermordete Dichterin Gertrud Kolmar ihren letzten selbstgewählten Wohnsitz hatte. Darüber hinaus gab es erste Informationen zu einer weiterführenden Nutzung des aktuellen Hort-Gebäudes.
Dies geschah mitten in Falkensee: Gertrud Chodziesner, im Dezember 1894 in Berlin geboren, war die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts und seiner Frau. Sie arbeitete in Berlin zunächst als Erzieherin und Sprachlehrerin, verschrieb sich dann aber zunehmend der Lyrik. Ihr erstes Gedicht wurde 1917 veröffentlicht. Als Dichterin gab sie sich den Namen Gertrud Kolmar.
1923 zog die Familie Chodziesner nach Falkensee-Finkenkrug – in die heutige Feuerbachstraße mit der Nummer 13 – damals war es noch die Manteuffelstraße 9. Gertrud Kolmar schrieb hier weiter.
Bedeutsam waren vor allem ihre 1933 entstandenen Gedichte, die sich dem Zyklus „Das Wort der Stummen“ zurechnen lassen. Mit ihnen gab Gertrud Kolmar vor allem den Entrechteten und den zum Schweigen Gebrachten eine Stimme.
Den Nationalsozialisten war sie mit ihrer Lyrik ein Dorn im Auge. Ab 1936 durfte sie nicht mehr unter Pseudonym veröffentlichen. In Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938 wurde ihr Gedichtband „Die Frau und die Tiere“ sogar noch vor dem Erscheinen vernichtet.
Die Autorin verzichtete allerdings – im Gegensatz zu ihren Geschwistern – auf eine Flucht ins Ausland. Und zwar mit Rücksicht auf den Vater. Sie musste in der Folge 1938 ihr Haus in Finkenkrug verkaufen und wurde zwangsweise in ein sogenanntes „Judenhaus“ in Berlin-Schöneberg umgesiedelt. Es kam zur Zwangsarbeit in der Kartonagenfabrik Epeco in Lichtenberg. 1942 schrieb sie in einem Brief: „So will ich auch unter mein Schicksal treten, mag es hoch wie ein Turm, mag es schwarz und lastend wie eine Wolke sein.“
Am 23. Februar 1943 wurde sie verhaftet und am 2. März zusammen mit 1.500 Berliner Juden nach Auschwitz deportiert. Hier wurde sie mutmaßlich direkt nach ihrer Ankunft am 3. März in den Gaskammern ermordet, weil sie als „nicht arbeitsfähig“ aussortiert wurde.
So weiß es u.a. die Gruppe „Stolpersteine in Berlin“ (www.stolpersteine-berlin.de), die Teile der Biografie auf ihrer Homepage zusammengetragen hat. Die „Stolpersteingruppe Falkensee“ (www.stolpersteine-falkensee.de) hat dafür gesorgt, dass vor dem Wohnhaus der Familie Chodziesner in der Feuerbachstraße zwei Stolpersteine verlegt wurden – im Gedenken an Gertrud Chodziesner und ihren Vater Ludwig. Zusätzlich ist vor Ort eine Gedenktafel aufgestellt.
Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz
In Falkensee gibt es einen Gertrud-Kolmar-Weg. Im Garten vom Museum wächst eine ganz offiziell so benannte Gertrud-Kolmar-Rose. Die Stolpersteine in der Feuerbachstraße erinnern ebenfalls an die Dichterin.
Trotzdem können viele Falkenseer nicht wirklich etwas mit dem Namen anfangen. Aus diesem Grund ist es eine gute Idee, das Gedenken an eine Falkenseer Persönlichkeit zu passenden Momenten wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.
Im ehemaligen Wohnhaus der Familie Chodziesner, in der Gertrud Kolmar viele Gedichte geschrieben hat, ist zurzeit noch der Hort der direkt benachbarten Lessing-Grundschule Zuhause.
Vor dem „Gertrud-Kolmar-Haus“ gab es am 27. Januar um 18 Uhr eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, organisiert vom „Bündnis gegen Rechts“ (BgR, www.bgr-falkensee.de) unter Beteiligung der „Stolpersteingruppe Falkensee“. Benno König vom „Bündnis gegen Rechts“: „Das Schicksal von Gertrud Kolmar steht exemplarisch für die Verfolgung von Jüdinnen und Juden, aber auch von missliebigen Künstlerinnen und Künstlern. Zugleich ist sie Teil auch der jüdischen Geschichte Falkensees.“
Heinrich Reinke (BgR): „Das heutige Gedenken ist einer der wichtigsten Tage in unserem Land – dieser unfassbare Greuel darf sich nie wiederholen und entzieht sich jedem Vergleich und jeder Relativierung.“
Am 27. Januar kamen etwa 40 Besucher vor dem Kolmar-Haus zusammen. Mit Rücksicht auf die Pandemie-Lage wurde die Veranstaltung extra klein gehalten.
Eine besondere Überraschung auf der etwa eine Stunde langen Gedenkveranstaltung war der Vortrag von ausgewählten Kolmar-Gedichten durch Schülerinnen des Lise-Meitner-Gymnasiums. Organisiert hatte diesen Vortrag Ingo Wellmann als ehemaliger Leiter des „Hauses am Anger“.
Kerzen brannten, kurze Reden wurden gehalten, Rosen wurden stellvertretend für alle KZ-Opfer abgelegt. Benno König: „Für mich ist die Ermordung von Millionen Menschen durch den nationalsozialistischen Rassenwahn bis heute unfassbar. Ebenso unfassbar ist für mich, dass sich diesen Verbrechen damals nur so wenige in Deutschland entgegenstellten.“
Um das Wirken von Gertrud Kolmar den Falkenseern auch nach der Gedenkstunde noch weiter näherzubringen, haben die Organisatoren laminierte Gedichte von Gertrud Kolmar am Zaun befestigt. So auch das am 22. September 1933 geschriebene Gedicht „Die Gefangenen 1933“ aus der Sammlung „Das Wort der Stummen“. Hier heißt es u.a. „Die Nägel um ihre Gurgeln gekrallt zum Ersticken – Der Hieb mit dem Kugelstock, mit dem klatschenden Lederstreifen – Sie irren im Lager um mit kranken, entsetzten Blicken – Und leben wahrscheinlich noch. Das können sie nicht begreifen.“
„Gertrud-Kolmar-Haus“: Aus dem Hort wird eine Schulbibliothek
Benno König vom „Bündnis gegen Rechts“: „Mit der Gedenkstunde wollen wir auch auf die Planungen für die weitere Nutzung des derzeit als Hortgebäude verwendeten Kolmar-Hauses aufmerksam machen. Dafür wird unter Einbeziehung des Falkenseer Heimatmuseums sowie der Lessing-Schule ein Konzept entwickelt. Dieses sieht eine weitere schulische Nutzung vor, aber auch Räumlichkeiten zum Gedenken an die Dichterin. Uns als ‚Bündnis gegen Rechts‘ ist wichtig, dass das Andenken an Gertrud Kolmar in Falkensee in öffentlich sichtbarer Weise bewahrt wird.“
Zurzeit sind noch die Hort-Kinder der Lessing-Grundschule im Kolmar-Haus untergebracht. Ein neues Gebäude in der Holbeinstraße steht aber für 250 Hort- und 50 Kitakinder kurz vor der Fertigstellung. Dann können die Kinder umziehen.
Cornelia Kremer, Schulleiterin der Lessing-Grundschule (www.lessingschule-falkensee.de): „Wir möchten gern mit unserer Schulbibliothek aus dem Untergeschoss unseres Hauptgebäudes in das Kolmar-Haus umziehen. Auch wenn die Gedichte von Gertrud Kolmar für unsere Grundschulkinder durchaus etwas sperrig sind, so werden wir bestimmt neue Wegen finden, um uns als Schule intensiver mit der Dichterin zu beschäftigen.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 192 (3/2022).
Der Beitrag Gertrud Kolmar: Gedenkveranstaltung am letzten Wirkort der Falkenseer Dichterin! erschien zuerst auf Unser Havelland (Falkensee aktuell).