Die Wiedervereinigung Deutschlands, der 3. Oktober 1990, ist Geschichte. Weltgeschichte. Aber die Wiedervereinigung ist nicht nur die Geschichte von Kohl und Gorbatschow, von Montagsdemonstrationen und Begrüßungsgeld oder von Trabant und Bananen. Das Wunder der deutschen Einheit ist auch die Geschichte der Jugend von heute. Die deutsche Einheit ist mehr als der „erneute Zusammenschluss zweier Staaten, die politisch getrennt waren”. Der Mauerfall ist das Schicksal aller Deutschen bis zum heutigen Tage.
Er ist das Glück von zusammengeführten Familien, die Freiheit der ehemals politisch Unterdrückten, das Schicksal der Familien, die nach der Wende in die neuen Bundesländer zogen und sich dort ein Leben aufbauten – somit ist er auch mein Schicksal.
Zur Jahrtausendwende zog meine Familie mit mir aus Bonn nach Brandenburg, dem Regierungsumzug sei Dank. Zehn Jahre zuvor wäre dies noch völlig unvorstellbar gewesen. Seitdem leben wir in einem Ort direkt an der ehemals innerdeutschen Grenze, in einem Haus, das mitten in der ehemaligen Sperrzone steht. Gäbe es den Todesstreifen, die Mauer, die Wachtürme und die Suchscheinwerfer noch, ich würde sie jeden Tag aus meinem Fenster sehen. Obwohl es all diese Dinge nicht mehr gibt, ist der Unterschied zwischen Familien aus dem ehemaligen Westteil Deutschlands bzw. aus Westberlin und Familien aus der ehemaligen DDR spürbar, was auch die Eingewöhnung in der neuen Heimat erschwerte. Sei es im Kleinen wie bei der Unterscheidung von „Schrippen” und „Brötchen” oder aber im Großen, dem Umgang mit der Vereinbarung von Familie und Beruf. Diese kleinen Unterschiede aber, sind nichts Schlechtes.
Denn in meiner Generation gibt es schon lange keine pauschale vorurteilsbehaftete Unterscheidung mehr zwischen „Wessi” und „Ossi”. Die Mauer im Kopf, die in der Wirtschaftswundergeneration größtenteils noch steht, ist von der Jugend niedergerissen worden und ihre Trümmer wurden zu Staub zermahlen. Doch wie das so ist, manchmal kann auch dieser Staub im Getriebe Probleme auslösen. Wenn wir über Glaube, Familie oder Politik reden und unsere Kindheitshelden vergleichen, dann sind die Differenzen nicht zu überhören. Aber davon lassen wir uns nicht aufhalten, denn unsere Gedanken sind frei, unsere Zukunft ist frei von Herkunft und Familie und auch frei von Grenzen und Mauern.
Der Aufbruchsgeist der neunziger Jahre hängt in meinem Abiturjahrgang in der Luft und der unbedingte Wille, die Welt sehen zu wollen, eint uns alle. So sind wir „zusammen einzigartig”. Doch diese Freiheit gab es nicht geschenkt, sie wurde bezahlt von der Generation die sich eher „eingebürgert als wiedervereinigt” fühlt. Die Deutsche Einheit wurde bezahlt von den Menschen, die durch die Wende ihre Arbeit verloren haben und teilweise bis heute als gut ausgebildete Akademiker Taxifahren. Deswegen sind die eigentlichen Mahnmale für die Mauer auch nicht am Checkpoint Charlie oder in der Bernauer Straße zu finden.
Die echten Gedenkstätten sind die Tagebauten der Lausitz und die leeren Wohnblocks in der Uckermark. Weil dies weitestgehend nicht anerkannt ist, weil Renten, Gehälter und Zukunftschancen in den neuen Bundesländern auch am 23. Jahrestag der deutschen Einheit immer noch vergleichsweise gering sind, müssen wir alles dafür tun um diese Ungleichheit zu beseitigen. Hierfür bedarf es allerdings weniger finanzieller Unterstützung, als moralischer. Ein Solidarpakt, der westdeutsche Gemeinden in den finanziellen Ruin treibt, führt nicht dazu die Mauern im Kopf zu verkleinern, sondern verstärkt Berührungsängste und Vorurteile noch. Was die Bewohner der neuen Bundesländer vor allem brauchen, ist Respekt und echte Solidarität. Wahrhaftiger „Aufbau Ost” beginnt im Kopf, nicht im Portemonnaie. Das wird es allerdings vielleicht erst in 20 Jahren geben, wenn meine Generation erwachsen ist und wir sagen können: „Wir sind Deutschland”.
Markus Kollberg, 17 Jahre, LMG Falkensee
Wettbewerbsbeitrag „Junge Menschen schreiben Geschichte”
Essay: „Wiedervereinigung zwischen Geschichte und Schicksal”