Der monatliche Kassensturz verhieß nichts Gutes. Der Stapel an unbezahlten Rechnungen bewies und der Blick auf den Kontoauszug zeigten: Wir standen knietief im Dispo. Es bestand dringender Handlungsbedarf. Meine Alternativen: Entweder mit der Kalaschnikow in der Bank betteln gehen oder einen Nebenjob annehmen.
Da traf es sich gut, dass sich die Facebook-Community darüber beklagte, dass viele Bürger aus der Region schon geraume Zeit nicht mehr die lokalen Wochen- und Werbeblätter in ihren Briefkästen vorfanden. Ging uns leider genauso. Seit Monaten keine BRAWO, keinen TIPP, keinen Preußenspiegel und am schlimmsten – kein Falkensee aktuell. Das geht doch nicht, dass meine Nachbarn nicht in den Genuss meiner Kolumne kommen.
Also bewarb ich mich als Zusteller. Nach dem vierten Versuch und mehreren Nachfragen wurde ich endlich eingestellt. Als Zusteller für den Preußenspiegel am Mittwoch, inklusive Amtsblatt und Falkensee aktuell. Und für den TIPP am Samstag. Jeweils 310 Exemplare muss ich nun in die Briefkästen bringen. Die Entlohnung war nicht gerade fürstlich, aber immerhin wird ab Januar über den Mindestlohn gesprochen.
Eine Woche später war ich dann auch schon unterwegs. Ich hatte alles perfekt vorgeplant. Hatte ich doch über Google Maps meine Route optimiert und die Häuser ausgezählt. Eigentlich hätte ich in zwei Stunden fertig sein müssen. Hätte. Aber es kam natürlich anders. Ich hatte die Briefkästen nicht mit auf meiner Rechnung. Die Falkenseer Briefkästen und ich nach dem 5. Bier haben etwas gemeinsam – wir sind nicht mehr aufnahmefähig.
Da bauen sich die Leute halbe Paläste, aber für einen anständigen Briefkasten reicht es dann nicht mehr, geschweige denn für eine Zeitungsrolle. Diese nützt dem Zusteller aber auch nur bedingt etwas. Lässt sich die frohe Werbebotschaft doch aufgrund der vielen Beilagen nur bedingt rollen oder falten. Oft scheitert der Zustellversuch auch daran, dass bei der Montage der Zeitungsrolle viel zu lange Schrauben verwendet wurden und diese nun mit dem spitzen Ende in die Rolle hineinragen. Tja, wer seine Zeitung in Streifen geschnitten lesen möchte, bitteschön! Mitunter wurden beim Justieren und Aufhängen der Zeitungsrollen auch die Ausgleichsgewichte für die Wasserwaage vergessen. Dann hängt die Rolle plötzlich im 12 Grad Winkel und dient als Auffangbecken für das Regenwasser. Die Folgen für Preußenspiegel und Co. liegen auf der Flosse, äh Hand. Das war mir dann aber auch egal. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon selbst oft völlig durchnässt und durchgefroren. Es goss mitunter in Strömen und der Wind peitschte mir die Gischt ins Gesicht. Irgendwie fühlte ich mich wie der Kaleu auf einem U-Boot, das gerade mit voller Kraft durch die Blockade bricht. Nur, dass auf mich nicht geschossen wurde.
Zurück zu den Briefkästen. Ob nun das Standard Modell oder ein etwas ausgefalleneres Modell: Die Briefschlitze sind meist so schmall, dass gerade einmal eine Scheibe Carpaccio durch den Schlitz passt. Auch von der Breite her gelingt die Zustellung nur mit einem besonderen Kniff. Besonders prickelnd wird der Zustellversuch, wenn die Post vom Vortag inklusive einem Päckchen von Amazon noch im Schlitz steckt. Der Briefkasten und seine Umwelt sehen dann schon mal so aus, als hätte sich der Briefkasten übergeben.
Und nun? Was soll ich tun? Die Zeitung rollen, längs oder quer falten? Weder noch, hier bleibt nur noch die Ziehharmonika-Methode übrig. Die Zeitung reinprügeln, damit sie sich in die vorhandenen Freiräume verteilt. Keine Ahnung, ob die dann noch gelesen wird, aber Hauptsache, zugestellt. Aber es gibt zum Glück auch andere Modelle unter den Briefkästen. Hier könnte man getrost einen Kleinwagen einstellen.
Und nicht nur dass. Die Briefkästen schlugen auch zurück. Schnapp! Blut! Schmerzen! Ein Blick auf meine aufgerissenen Hände und auf die blutbefleckten Zeitungen trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Was zur Hölle?! Befindet sich im Briefkasten eine Guilliotine, die mittels Lichtschrankensteuerung herunterfährt, sobald ich meine Finger beim Zustellversuch zu tief in den Schlitz stecke? Oder handelt es sich hier gar um ein mit Zähnen bewaffnetes Monster? Ich habe seitdem sehr gruselige Albträume. Ich geh mal davon aus, dass einige Hautfetzen von mir noch immer an der einen oder anderen scharfen Briefkastenklappe kleben. Hoffentlich wird das nicht mal ein Tatort werden, meine DNA schwirrt da bestimmt noch eine Weile herum.
Darum trage ich jetzt auch einen Handschuh. Was mir wiederum merkwürdige Blicke der Anwohner einbringt, wenn ich in der Dunkelheit um die Häuser schleiche. Dabei lauert dort eine weitere „Gefahr“: Hunde. Meist sind es nur blöde Kläffer, so kleine Taschenpudel und Fußhupen, die wie ein Vollgummiball hinter dem Zaun herumhopsen, keifen wie meine Schwiegermutter und dabei die Augen verdrehen, als wären sie dem Wahnsinn anheim gefallen. Aber die anderen, die machen doch Eindruck. Wenn so ein 55 Kilo Muskelpaket namens Rottweiler mit gefletschten Zähnen an den morschen Jägerzaun springt, dann sollte man als Zusteller zwei Dinge parat haben: einen Fluchtplan, bei dem ein leicht zu erkletternder Baum eine wichtige Rolle spielt, und einen frischen Schlüpfer.
Übrigens schade, dass es „Wetten Dass“ nicht mehr gibt. Ich könnte inzwischen verschiedene Briefkastenmodelle durch blutiges Tasten und am Klang der Klappe erkennen. „Hm. Klappe vorne, Klappe leicht gefedert, Schloss vorne. Das müsste der ME-FA Harmony Ruby sein.“ (Uwe Abel der Zeitungsschredder, Foto Maike Abel).